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Kultur-Tipp

Wie sicher sind wir?

Kate Crawford's Atlas zur künstlichen Intelligenz

Wer digitale Medien verwendet, kann beispielsweise in Suchmaschinen oder den sozialen Medien selbst Erfahrungen mit künstlicher Intelligenz machen. Das Für und Wider der Anwendungen in Wirtschaft und Verwaltung kann in den Medien verfolgt werden. Und schon heute verändern diese Technologien sowohl die Kultur der Gesellschaft im allgemeinen als auch Kunst und Kultur im engeren Sinn.

Mit Kate Crawford erleben wird den globalen Einfluss künstlicher Intelligenz auf die Geographie von der Mongolei bis Texas. Wir entdecken ebenfalls Entwicklung und Wandel der künstlichen Intelligenz. Dazu werden Erfindungen, Sammlungen von Objekten und Daten, wissenschaftliche Forschungen und staatliche Projekte vorgestellt. Damit führt uns Kate Crawford hinein in die soziale Dynamik der heutigen Gesellschaft im Dreieck von Markt, Politik und Technik. Sie verarbeitet ihre Recherchen, Interviews und Quellen zu Prinzipien und Einsichten, die allein durch den Blick aus der westlichen Welt, den Charakter einer Momentaufnahme und durch die Beschränkung auf öffentlich zugängliche Quellen begrenzt sind. Sie beschreibt die zentralen Anwendungen für nationale und internationale Sicherheit, eine auf die Dialektik von Angst und Schutz setzende Politik und das bis in den Weltraum reichende Versprechen einer Erlösung von irdischer Endlichkeit im Selbstverständnis der Tech-Konzerne.

Die verschiedenen Ansätze, mit denen Kate Crawford auf künstliche Intelligenz blickt, fügt sie zu einem vielseitigen Kartenwerk der Perspektiven zusammen. Der weltweite Abbau von Rohstoffen wie Lithium setzt als Teil des Welthandels mit undurchsichtigen Lieferketten und als Faktor militärischer Konflikte die Zerstörung der Umwelt fort. Einfache Arbeitskräfte werden einerseits beim Aufbau und im Betrieb der künstlichen Intelligenz eingesetzt. Andererseits ist die menschliche Arbeitskraft mit den Strukturen zum Zeitmanagement ein wesentlicher Gegenstand dieser Technologien. Maschinelles Training basiert auf der Sammlung und Klassifizierung von Daten. Verschiedene Anwendungen benötigen unterschiedliche Modelle. Heute ist eine Vielzahl über Jahrzehnte im Wettbewerb entstandener Datensätze frei zugänglich. Staatliches Handeln, wissenschaftliche Projekte und jüngst das Internet sind die Quellen der Daten. Fragwürdig ist nicht nur ihre Abkopplung aus dem jeweiligen ursprünglichen Kontext; sie werden auch ohne Schutz der Urheberrechte genutzt und zunehmend aus öffentlichen in kommerzielle Bereiche überführt.

Die Debatte über die Objektivität der verwendeten Daten sucht die festgestellte Voreingenommenheit durch begrenzte Eingriffe zu lindern und zielt nicht wie die Autorin auf eine generelle Kritik der Klassifikation. Schon früh war die Beziehung zwischen Emotion und Ausdruck ein Interesse der Forschung. Auch wenn bis heute kein wissenschaftlicher Nachweis gelungen ist, zeigt die Autorin, wie seit den sechziger Jahren die öffentlich geförderte Forschung zu Kategorien des Gesichtsausdrucks und ihrer Bewertung vielfältig verwendet und ausgebaut wird. Nachdem sich Prinzipien der künstlichen Intelligenz zunächst im Umfeld von Geheimdienst und Militär etabliert hatten, bestimmen inzwischen Fragen der Sicherheit und mit ihr technologische Lösungen auch andere staatliche Bereiche wie Bildung, Gesundheit und Polizei. Überall ist das Ziel der Zugriff auf Menschen, Gruppen und Gemeinschaften. Künstliche Intelligenz verstärkt, so resümiert Kate Crawford, durch das Zusammenwirken von Kapital, Politik und Militär die herrschende Ungleichheit von Macht. Sie basiert auf der Abstraktion von der notwendigen materiellen Basis und der Extraktion von Informationen und Ressourcen von denen, die sich am wenigsten wehren können. Eine Gegenwehr erhofft sich die Autorin von einer Allianz sozialer Bewegungen.

Nach der Lektüre können aber auch andere, für Mensch und Umwelt weniger schädliche Technologien oder alternative, auf soziale Strukturen bauende Sicherheitskonzepte ins Auge gefasst werden. Unterdessen unterstützt Kate Crawford's Expertise einen verantwortungsvollen Umgang mit der uns bereits umgebenden künstlichen Intelligenz. (jk)

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Die rezensierte Originalausgabe | Crawford, Kate: Atlas of AI. Power, Politics, and the Planetary Costs of Artificial Intelligence. New Haven: Yale University Press 2021. 327 Pages : Illustrations (Paperback); die Publikation ist auch als eBook erhältlich.

Die deutsche Übersetzung | Crawford, Kate: Atlas der KI. Die materielle Wahrheit hinter den neuen Datenimperien. München: C.H.Beck 2024. 336 S., Abb. (Hardcover); die Publikation ist auch als eBook erhältlich. 2025 erscheint dazu eine broschierte Ausgabe.